Die "Mordsmütter" kommen am 20.April - ein wunderbares Geschenk nicht nur zum Muttertag!
Mechthild Zimmermann und Regina Schleheck.
ISBN: 978-3-941970-06-9. Ab sofort vorbestellbar.
Edition BitterBöse
Mörderisch gute Geschichten rund um den „Mythos Mutti“
Zu knapper Kasse und frustiger Fron kommen neidische Nächste, biestige Blagen, flüchtige Väter – und dieses dornige Dasein soll einmal im Jahr rosig verblümt werden? Da muss es andere Lösungen geben.
Neunundzwanzig hochkarätige AutorInnen blicken hinter die Fassade der Familienidylle und binden einen Strauß Neu(e)Rosen zum Muttertag.
Von den Grandes Dames des Frauenkrimis wie Sabine Deitmer über viele andere ausgezeichnete AutorInnen bis hin zu Judith Merchant, Glauser-Kurzkrimi-Shooting-Star 2010.
Nach den „Witwen“ sind nun die „Mordsmütter“ auf Erfolgskurs.
Ganz ohne Staub- und Augenwischerei.
Mit einer starken Prise schwarzen Humors.
Ingrid Noll, Köln 2011
Und was ist mit Mord? Carsten Sebastian Henn
Die Schafe hatte er angeschrien!
Hatte er vorher nie gemacht.
Mein Gott, die guckten ihn vielleicht an. Vor allem die Mutterschafe. Und die Viecher konnten ja alle nichts dafür. Die hatten ja nix gesagt, hatten keine Witze gemacht oder ihm Tee angeboten wie diese Spinner im Dorf. Seine Heidschnucken waren zufrieden, genügsam und freundlich. Schafe waren vielleicht dumm, dachte Labs Oltmann, aber er wollte verdammt sein, wenn sie nicht bessere Menschen waren. Vielleicht nicht während der Schur, da waren sie schon zickig, und kurz danach, oder bevor es ans Schlachten ging. Dann natürlich nicht. Aber sonst immer.
Und er hatte die armen Viecher mit der Schreierei verunsichert, nur weil ihn wieder mal einer gefragt hatte: "Und was ist mit Tee-eee?"
Dabei trank er nie Tee. Er aß auch nie kleine runde Gebäckkugeln. Und schon gar nicht drehte er Werbespots für Hersteller von kleinen runden Gebäckkugeln, in denen ein Friesenheini schicke Metropolenbewohner, die kleine runde Gebäckkugeln zu Kaffee aßen, fragte: "Und was ist mit Tee-eee?"
Der Spot war bescheuert genug. Den Spott hatte er erst recht nicht verdient.
Da hatte er sich durchgerungen.
Da hatte er die Entscheidung gefällt.
Und wenn er einmal eine fällte, dann stand sie. Dann brachte die nichts mehr ins Wanken.
Er würde den Mann aus der Giotto-Werbung töten, der ständig so blöd übertrieben nach Tee-eee fragte.
Denn der sah aus wie er.
Sie ähnelten sich wie ein Keks dem anderen.
Es musste endlich wieder Ruhe herrschen. Er war es so leid, damit aufgezogen zu werden. Der Kerl musste weg, ein für alle Mal.
Ein guter Freund von Labs Oltmann nahm die Herde zu seiner. Nur für ein paar Tage. Das würde Labs reichen, um den Giotto-Mann um die Ecke zu bringen.
Von Planung hielt Labs Oltmann nicht viel, Dinge ergaben sich meistens von selbst. Schafe wussten im Großen und Ganzen, wohin sie laufen mussten. Ein Pfiff, ein paarmal bellen lassen, und sie folgten.
Trotzdem nahm Labs lieber seine Mutter mit. Sie kannte die Menschen besser als er. Dachte Labs. Aber sie konnte sehr wütend werden, deswegen fuhr auch sein Schäferhund mit. Ludger IV. Er winselte in Fällen mütterlicher Ausfälligkeit – was sie zum Aufhören bewegen konnte. Damit Ludger IV. nicht so alleine war, nahm er Edeltraud mit. Das älteste Mutterschaf. Edeltraud war schon achtzehn Jahre alt, hatte nicht mehr lang. Sie sollte noch einmal die Welt sehen.
Copyright: Viaterra Verlag.
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Cornelia Christina Anken lebt in Frankfurt am Main, wo sie 1967 geboren wurde. Anken hat Germanistik, Vor- und Frühgeschichte sowie Historische Ethnologie studiert und arbeitet an der Goethe-Universität in Frankfurt. Sie veröffentlicht regelmäßig Kurzgeschichten sowie Bücher und erhielt mehrere Literaturpreise. 2010 erschien ihr jüngster Kriminalroman „Leonora Timms und die Verlorenen Kinder“. www.cornelia-anken.de
Volker Bitzer wurde an einem Sonntag im Sommer 1968 in Bremen geboren. Für all das ist er seiner Mutter bis heute dankbar. Er schwört, dass seine Kurzgeschichte in dieser Anthologie nichts mit ihr zu tun hat. Auch wenn er mittlerweile in Hamburg lebt.
Sabine Deitmer leitete 1988 mit ihren schwarz-humorigen Storys in „Bye-bye Bruno“ den Trend der lustvoll mordenden Frauen ein. Ihre Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt, verfilmt und für den Hörfunk bearbeitet. Auszeichnungen: 1995 Deutscher Krimipreis, 2005 Frauenkrimipreis der Stadt Wiesbaden, 2008 „Ehrenglauser“ für besondere Verdienste um die deutschsprachige Kriminalliteratur.
Gitta Edelmann lebt mit ihrer Familie in Bonn. Neben ihren Kurzkrimis veröffentlicht sie hauptsächlich Spannendes und Lustiges für Kinder. Sie leitet auch Workshops für Kreatives Schreiben und ist Mitglied bei den „Mörderischen Schwestern“, im „Syndikat“ und im Verband deutscher Schriftsteller VS. www.gitta-edelmann.de
Karen Erbs, Kieler Sprotte von 1964, die 2008 in Hessen gestrandet ist. Der dadurch entstandene Kulturschock, das Heimweh und die Leidenschaft für das Reisen inspirieren seitdem die ersten Kurzgeschichten. Passionierte Sammlerin von Anziehpuppen aus Papier!
Antje Fries: Sprachen- und Lehramtsstudium. Derzeit an einem außerschulischen Lernort tätig. Diverse pädagogische, literarische, journalistische Nebentätigkeiten. Schreibt in Rheinhessen Krimis, Kinderbücher und Lehrerbücher und liefert Beiträge zu Lyrik-, Mundart-, und Krimi-Anthologien. Dennoch sind Mann und Kinder wohlauf. www.antjefries.de
Anne Grießer schreibt nicht nur über Mord und Totschlag - sie tut es auch. Als Autorin, Herausgeberin und Krimientertainerin schwingt sie in Freiburg die Feder und so manches blutige Theaterrequisit. Sie ist Mitglied bei den „Mörderischen Schwestern“ und im „Syndikat“.
Carsten Sebastian Henn, geb. 1973. Der mehrfach ausgezeichnete Kölner Autor Carsten Sebastian Henn (*1973) gilt als „Deutschlands König des kulinarischen Krimis“ (WDR). Seine Romane verkauften sich bereits über eine Viertelmillionen mal. 2009 gründete er die „Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft“ und keltert seitdem gemeinsam mit den besten Winzern Deutschlands streng limitierte Spitzenweine. www.carstensebastianhenn.de
Jutta Maria Herrmann ist gebürtige Saarländerin, gelernte Buchhändlerin, studierte Germanistin. Die überzeugte Wahl-Berlinerin hat der Hauptstadt vor einigen Jahren den Rücken gekehrt. Jetzt lebt und mordet sie – natürlich nur auf dem Papier – im brandenburgischen Zepernick. Zurzeit arbeitet sie an einem Thriller. Sie ist Mitglied bei den „Mörderischen Schwestern“ und im „Syndikat“. www.jutta-maria-herrmann.de
Myk Jung, geboren in Essen, etwa 24 Monate bevor die Beatles dort gastierten, ist seit 1984 als Sänger/Musiker und freier Autor aktiv. Mit der Tolkien-Parodie "Der Herr der Ohrringe" veröffentlichte Jung seinen ersten Roman. In seinen Kurzgeschichten geht es gerne skurril-humoresk zu. Live kann man ihn auf seiner eigenen Lesebühne "Schementhemen" erleben. www.mykjung.de
Regine Kölpin, geboren 1964 in Oberhausen (NRW), lebt in Friesland. Regine Kölpin hat für ihre Arbeiten Preise und Auszeichnungen erhalten und schreibt unter dem Pseudonym Regine Fiedler für Kinder und Jugendliche. Sie arbeitet als Dozentin für kreatives Schreiben an Schulen und in der Erwachsenenbildung. www.regine-koelpin.de
Kerstin Lange, Jahrgang 1966, lebt seit neun Jahren mit ihrer Familie am Niederrhein. 2008 kehrte sie ihrer Tätigkeit als Bilanzbuchhalterin den Rücken zu und konzentriert sich seither auf das Schreiben. Viele ihrer Kurzgeschichten sind in Anthologien veröffentlicht worden, u.a. im Rowohlt Verlag. Im Sommer 2011 erscheint ihr erster Kriminalroman. www.kerstinlange.com
Ulla Lessmann u.a. Chefredakteurin des „Vorwärts“, seit 1994 freie Journalistin, Moderatorin und Schriftstellerin. Auszeichnungen: EMMA-Journalistinnenpreis, Preis der Stadt Herne für satirische Literatur, Krimi-Schreib-Stipendium „Tatort Töwerland. Zuletzt erschienen: „Das Lachsmesser im Marzipanschwein“. Ulla Lessmann ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller/innen (VS) in ver.di (Vorsitzende in Köln 1995-2003), im „Syndikat“ und bei den „Mörderischen Schwestern“ (Präsidentin 2007-2010). www.ulla-lessmann.de
Harry Michael Liedtke stammt aus Bielefeld und lebt in Gladbeck. Im Hauptberuf arbeitet er - nach Lust und Laune - als Industriekaufmann, nebenher betätigt er sich als Setzer, Drucker, Korrekturleser, Filmkritiker, Sphäronaut und seit geraumer Zeit auch als Autor. Im Juni 2009 erschien sein Erzählband „Begräbnis auf dem Mond“. Sein Lebensmotto: Wenn du bis zum Hals in der Scheiße steckst, lass den Kopf nicht hängen.
Sandra Lüpkes, geb. 1971, lebt und arbeitet als Schriftstellerin in Münster/Westfalen. Mit ihren 14 bislang erschienenen Büchern - Krimis, Sachbüchern, Kurzgeschichtensammlungen und einem Historischen Roman - hat sie eine Gesamtauflage von mehr als 250.000 Exemplaren erreicht. www.sandraluepkes.de
Judith Merchant wurde in Bonn geboren und studierte dort Germanistik mit ständig wechselnden Begleitfächern. In einer Schreibkrise ihrer Doktorarbeit begann sie mit dem Krimischreiben und erhielt gleich für ihre zweite Geschichte den begehrten Glauser-Preis. Nach erfolgreichem Abbruch der Doktorarbeit erscheint im Mai 2011 der erste Roman "Nibelungenmord" bei Knaur.
Helga Murauer lebt nach vielen Jahren in Italien, Libyen, England und der Schweiz wieder in ihrer Geburtsstadt Innsbruck. Sie arbeitet als freiberufliche Dolmetscherin/Übersetzerin und schreibt Thriller und Kurzkrimis. Eine Reise in den Gaza-Streifen und die besetzten Gebiete gaben den Anstoß zu „Der Märtyrer“.
Sandra Niermeyer wurde 1972 in Melle/Niedersachsen geboren. Sie lebt und schreibt in Bielefeld. Für einen Auszug aus ihrem Roman erhielt sie den Würth-Literaturpreis der Tübinger Poetik-Dozentur und den Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen. 2007 bekam sie den Marlen-Haushofer-Literaturpreis.
Ingrid Noll:
1935 geboren
1 Mann, 3 Kinder, 4 Enkel
10 Romane
x Kurzgeschichten
Thomas Nommensen wurde in Schleswig-Holstein geboren und zog rechtzeitig vor dem Fall der Mauer nach Berlin. Er arbeitete als Musiker, Toningenieur und Software-Entwickler. 2010 gewann er den Freiburger Krimipreis (1. Platz). 2011 wurde er mit dem Agatha-Christie-Preis (3. Platz) ausgezeichnet, für den er bereits zum zweiten Mal nominiert war. Er ist Mitglied im Syndikat und lebt inzwischen vor den Toren von Berlin im brandenburgischen Panketal. www.thomas-nommensen.de
Ricarda Oertel: geboren in Kappeln an der Schlei, Schleswig-Holstein. Hier, in Kalifornien und anderen Stätten der Kindheit Meeresluft geschnuppert. Nach Abschluss eines Pädagogik-, Germanistik- und Theologiestudiums in Bonn nicht weise und fromm genug, das literarische Morden zu lassen. Heilpädagogische Betreuung von Jugendlichen, heute freie Lektorin. Mit Mann und zwei Kindern weitgehend friedlich und treu in den Norden zurückgekehrt.
Elke Pistor mordet seit 2009 mit dem größten Vergnügen in schriftlicher Kurz- und Langform quer durch alle Gesellschaftsschichten, Personenkreise und Landschaften. Ergebnis sind etliche Anthologiebeiträge, der Eifelkrimi „Gemünder Blut“ und der Mysterythriller „Das Portal“. Daneben lehrt sie in Schreibseminaren den „Mord in Kürze“. www.elke-pistor.de
Doris Preusche: 1963 in Gießen geboren, wurde vom Leben auf einem Bauernhof und später von den multiplen Einflüssen im Main-Taunus-Kreis geprägt. Ehefrau, Mutter von zwei Töchtern (26, 20), Sport-Physiotherapeutin, Redaktionssekretärin und freiberufliche Journalistin. Als Krimi-Autorin seit 2007 mit der Krimigruppe „MainCrime“ unterwegs und seit 2009 Mitglied bei den „Mörderischen Schwestern“. Bisher wurden vier weitere Kurzkrimis veröffentlicht.
Petra Reategui schrieb mit neun Jahren erste Märchen für Schülerwettbewerbe. Leider erfolglos. Daher ließ sie es mit der Schriftstellerei und wurde Dolmetscherin und Journalistin. Aber dann überkam sie doch wieder die Freude am Erzählen. Seither schreibt sie Romane, historische Krimis und Kurzgeschichten. Die Autorin lebt in Köln.
Regina Schleheck: ein halbes Jahrhundert leb-haft – in Wuppertal, Köln, Aachen, Herford, jetzt Leverkusen. Seit drei Dekaden Elter. Fünffach. Ex-Gatte lebt. Beruf: Lehr. Seit einer Dekade schreibend. Vielfach bepreist. Ohne-Glied im Netzwerk der „Mörderischen Schwestern“. Mit-Herausgeberin der „Mordsmütter“. www.regina-schleheck.de
Sabine Trinkaus lebt als Büchereifräulein und Bilddokumentarin in Alfter bei Bonn. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist, das Leben von Teenagern durch ebenso unsinnige wie unfaire Verbote zu ruinieren, befasst sie sich gern mit der Planung und Durchführung verschiedener Verbrechen. Die Früchte dieser Arbeit sind in diversen Anthologien nachzulesen. Im Frühjahr 2012 erscheint ihr erster Kriminalroman.
Jutta Wilbertz studierte Diplom-Theaterwissenschaft mit Schwerpunkt Schauspiel in Gießen. Sie ist Mutter, Sängerin, Autorin, schreibt Kurzkrimis und Chansons, tritt regelmäßig mit eigenen Bühnenprogrammen auf und lebt und überlebt mit Mann, Tochter, Hund in Köln. www.wilbertz-kunz.de
Mechthild D. Zimmermann, Verlegerin, geboren in Mainz und dort studiert: Germanistik, Geschichte und Journalistik. Ihre Liebe zur Kriminalliteratur führt sie auf eine frühkindliche Prägung zurück: ihre Urgroßmutter Lena soll sie mit Schauerballaden und Moritaten in den Schlaf gesungen haben. Lange Jahre Dozentin an der Hochschule für Polizei und Verwaltung in Wiesbaden. Sie lebt mit ihrer Familie im Taunus und schreibt unter dem Namen Daphne Carpentier.
Milan Zimmermann wurde am 26.03.1990 in Frankfurt am Main geboren, lebte bis zu seinem vierten Lebensjahr in Wiesbaden, zog dann für 15 Jahre nach Aarbergen, bis es ihn zum Medizin-Studium an die Charité nach Berlin verschlug. Seit einem Jahr wohnt er im schönen Charlottenburg. „Nomen non est omen“ ist nach einer Kurzgeschichte in der Anthologie: „Wie werde ich Witwe?“, seine zweite Veröffentlichung.
Du nimmst das Buch vom Nachttisch und lässt dich auf der Bettkante nieder. Bevor du es aufschlagen kannst, greift sie mit beiden Händen danach und wirft es mit einer ungeschickten Bewegung von sich. Es fällt neben dem Bett auf den Boden, die Kante trifft deinen Fuß.
"Papa soll vorlesen", quengelt sie. "Nicht du!"
Es ist wie ein Reflex. Dein Arm schnellt hoch, deine Hand schlägt zu. Das klatschende Geräusch, als deine Handfläche auf ihre Wange trifft, ist so laut, dass du fürchtest, er könnte etwas gehört haben.
Sie zieht eine Flunsch. Ihre Augen füllen sich mit Tränen.
Du murmelst hastig ein Estutmirleid, senkst den Blick und verschränkst die Finger deiner Hände im Schoß. "Ich kauf dir ein neues Kleidchen für deine Barbie, ja?"
Du schaust auf, wiederholst das "Ja?"
Sie schüttelt heftig den Kopf. "Nein", sagt sie und zieht die Nase hoch.
"Willst du lieber in den Zoo?", fragst du. "Zu den Eisbären?"
Kurz blitzt ein Leuchten in ihren Augen auf. Du willst schon aufatmen, da sagt sie: "Nein, danke, Mama. Ich will nichts mehr geschenkt von dir." Dann zieht sie die Bettdecke über sich, legt den Kopf auf das Kissen und schließt die Augen.
Du zögerst, öffnest den Mund, um etwas zu erwidern, aber dir fallen keine Worte ein. Du stehst auf und verlässt mit gesenktem Kopf ihr Zimmer.
Er sitzt im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Die Beine auf dem Couchtisch, daneben die noch nicht geöffnete Flasche Bier. Es läuft Fußball.
Er sieht nicht auf, als du an ihm vorbei zur Terrassentür gehst. Du öffnest sie. Ein Schwall kalter Luft strömt herein, lässt dich kurz schaudern.
"Schläft sie?", fragt er hinter deinem Rücken.
Du nickst, murmelst ein "Ja" und trittst auf die Terrasse. Die Arme um den Oberkörper geschlungen atmest du die kühle Luft in tiefen Zügen ein. Es ist dunkel. Der Himmel hängt schwarz und wolkenschwer über dir. Für morgen haben sie Schnee vorausgesagt. Viel Schnee.
Er hat versprochen, mit ihr rodeln zu gehen. Sie hat gestrahlt und in die Hände geklatscht. "Au ja", hat sie gerufen. "Nur ich und du!"
Er hat gelacht und ihr verschwörerisch zugezwinkert: "Nur du und ich!"
Jubelnd ist sie ihm um den Hals gefallen. Er hat sie fest an sich gedrückt und ihren Scheitel geküsst – ein flüchtiger Blick in deine Richtung.
Eifersucht. Wie ein Stachel hat sie sich in dich hinein gebohrt. Du hast dich schnell weg gedreht, so getan, als hättest du seinen schuldbewussten Blick nicht bemerkt.
Du ziehst ein Feuerzeug und eine zerknautschte Packung Zigaretten aus der Hosentasche, zündest dir eine an. Ein Gefühl von Leere breitet sich in dir aus. Du ziehst den Rauch tief in deine Lungen, atmest ihn als Wattewölkchen wieder aus.
Du hörst ein Geräusch hinter dir und drehst dich um. Durch die Fensterscheibe beobachtest du, wie sie in ihrem Schlafanzug, den braunen Plüschhasen mit den Schlapperohren unter den Arm geklemmt, zu ihm aufs Sofa klettert, sich auf seinen Schoß schmiegt. Er legt die Arme um sie, streicht ihr liebkosend übers Haar. Sie reden leise miteinander.
Du verstehst nichts von dem, was sie sagen.
Du spürst, wie deine Gesichtszüge verhärten, rauchst in hastigen Zügen und lässt die beiden nicht eine Sekunde aus den Augen.
Jetzt gerade schlingt sie ihm ihre Arme um den Hals, drückt ihr Gesicht in die Kuhle seiner Halsbeuge. So verharren sie eine Weile. Dann fasst er unter ihre angewinkelten Beine und erhebt sich. Sie legt ihren Kopf auf seine Schulter und schließt die Augen. Mit schnellen Schritten trägt er sie durchs Wohnzimmer aus deinem Blickfeld.
Du stellst dir vor, wie er sie sacht in ihr Bett legt, sich zu ihr hinunter beugt, sie liebevoll zudeckt, wie er ihr eine Haarsträhne aus der Stirn streicht, sie zärtlich küsst und: "Träum schön, meine kleine Prinzessin", flüstert.
Ein Würgen kriecht deine Kehle hoch, du schluckst es mühsam hinunter, wartest auf die Tränen. Aber sie wollen nicht fließen.
Du spürst etwas Feuchtes auf deiner Wange und schaust hoch zum Himmel. Schneeflocken trudeln dir entgegen. Du zerdrückst die Zigarette in dem Aschenbecher auf dem Terrassentisch, gehst wieder hinein und setzt dich aufs Sofa. Du starrst auf den Fernseher, ohne die Bilder zu sehen.
Es kann so nicht weiter gehen, denkst du.
Aber wie soll es weiter gehen?
Du weißt es nicht.
Er kommt zurück. Ohne ein Wort lässt er sich neben dich aufs Sofa fallen, beugt sich vor und vergräbt sein Gesicht in den Händen.
Halbzeit, verkündet der Sprecher im Fernsehen.
Ihr sitzt nah beieinander. Ihr berührt euch nicht.
Er greift nach der Fernbedienung, stellt den Ton aus.
Du verschränkst die Arme, lehnst dich zurück. Der Heizkörper unter dem Fenster gluckert leise. Der Kühlschrank in der Küche springt mit einem knackenden Geräusch an.
Er richtet sich abrupt auf. Als koste es ihn Kraft, die Spannung zu durchbrechen, holt er tief Luft. "Du hast sie geschlagen", sagt er, den Blick auf die Wand gegenüber geheftet.
"Hat sie das gesagt?"
Er nickt. "Ja."
"Sie lügt", sagst du schnell und bist erstaunt, wie fest deine Stimme klingt.
"Sie lügt?", wiederholt er.
"Ja." Du nickst mit dem Kopf, zuckst mit der Schulter und fühlst, wie die Röte brennend in deine Wangen steigt.
"Sicher?", fragt er.
Du spürst seinen Blick auf dir und wendest dich ihm zu. Die Kälte in seinen Augen trifft dich unvorbereitet. Du erschrickst, schaust schnell weg, auf den Fernseher. Die blonde Nachrichtensprecherin zeigt lächelnd ihre weißen Zähne. Ihre Lippen bewegen sich tonlos.
Sein Blick lässt dich nicht los.
"Ach, herrje", murmelst du schließlich, ohne ihn anzusehen. "Mir ist halt einfach die Hand ausgerutscht. Es war ein kleiner Klaps. Mehr nicht."
Die Stimme spricht wieder zu ihr, gibt die Anweisungen. Geduldig. Gleichbleibend freundlich. Wie gestern und an den 116 Tagen zuvor. Die Bedeutung der knappen, aber präzisen Sätze hat sich in dem täglichen Ritual nach und nach verflüchtigt, übrig blieb der beruhigende Klang der Stimme aus dem kleinen Gerät an der Windschutzscheibe.
In zweihundert Metern biegen Sie rechts ab.
Die Frau dreht mit der linken Hand das Lenkrad. Ihre rechte Hand setzt den Blinker, legt die Gänge ein. Die Füße finden die Pedale und den nötigen Rhythmus wie von selbst. Keine Unsicherheit. Kein Zögern. Die erlernten Abläufe sitzen.
In einhundert Metern halten Sie sich links.
Als der Fahrtwind es nicht mehr schafft, die Flocken von der Scheibe zu blasen, rutscht sie auf dem Sitz ganz nach vorn. Das Lenkrad drückt hart gegen ihr Brustbein, aber sie spürt den Schmerz nur dumpf und flüchtig.
Sie könnte den Scheibenwischer einschalten, doch sicher würde alles verschmieren. Sie müsste anhalten, aussteigen, die Scheibe säubern. Die klare, kalte Luft, der Gang zum Kofferraum, um den Scheibenreiniger zu holen – vielleicht würde dieser Moment bereits ausreichen, um ihren Mut zu tilgen. Den Mut, den sie braucht, um mit ihrem Ritual zu brechen und diesen irrwitzigen Plan auszuführen. Nein, sie wird weiterfahren, nicht aussteigen, bevor sie am endgültigen Ziel ihrer Fahrt angekommen ist.
Im Kreisverkehr nehmen Sie die zweite Ausfahrt.
Die Lüftung läuft seit Fahrtbeginn auf Hochtouren, der Luftstrom ist mittlerweile lauwarm, bläst ihr ins Gesicht – ein trockenes Gefühl auf den Pupillen. Sie kneift die Augen zusammen, wartet auf eine Träne zwischen ihren Lidern.
Das Ziel ihrer täglichen Fahrt hat sie mehr und mehr als einen Teil ihres Zuhauses empfunden. Manchmal nennt sie es Das Kinderzimmer. Das Kinderzimmer von Marie. Irgendwann hat sie es auch Johannes gegenüber erwähnt. Johannes hat sie angesehen, traurig angesehen. Seitdem lässt sie ihren Mann nicht mehr an ihren Gedanken teilhaben.
In 200 Metern biegen Sie links ab.
In den ersten Wochen hat Johannes sie gefahren, sich dann neben sie gestellt, bemüht, seine Ungeduld zu verbergen. Manchmal ist er nach wenigen Minuten zum Wagen zurück gegangen. Ich warte dort. Lass dir einfach so viel Zeit, wie du brauchst. Doch so funktionierte es nicht, allein der Gedanke, dass er ungeduldig auf dem Parkplatz herum lief, eine Zigarette nach der nächsten rauchte, störte sie in ihrer Trauer.
Ihr Therapeut hatte die Idee mit dem Navigationsgerät. So ein Gerät gibt Ihnen Sicherheit, bringt Routine in den Fahrprozess, stabilisiert letztlich den ganzen Besuchsvorgang, meinte er. Der Frau kam es albern vor, schließlich kannte sie die Strecke nur zu genau. Trotzdem, und weil der Psychologe viele Worte fand, die den Therapiewert dieser Maßnahme lobten, ließ sie sich zu einem Versuch überreden. An jenem Tag fuhr sie zwei Kilometer weit ohne einen einzigen Panikanfall. Nach einer weiteren Woche und der Umstellung der Stimme auf einen männlichen Sprecher hatte sie schließlich die gesamte Strecke geschafft und parkte ihren kleinen Fiat vor der Koniferenhecke am Südeingang des Friedhofs.
Sie haben Ihr Fahrziel erreicht.
Spiegel, Blinker, Seitenblick. Die Frau lässt den Wagen auf dem grob gepflasterten Fahrstreifen zwischen den Parkbuchten langsam ausrollen. Nimmt den Gang raus. Kurbelt die Seitenscheibe herunter. Es ist kälter geworden, zwischen die weichen Schneeflocken haben sich harte Eiskristalle gemischt, die wie Nadeln auf ihre Gesichtshaut treffen.
Die Verkäuferin aus der Friedhofsgärtnerei gegenüber winkt ihr durch die weihnachtlich dekorierte Scheibe des Ladens zu.
Die Frau winkt zurück. Nur ein Reflex. Normalerweise würde sie jetzt den Wagen parken, aussteigen, in dem Laden ein paar belanglose Worte wechseln, dann die Rose kaufen.
Heute nicht. Heute wird sie ein weiteres Fahrziel in das Navigationsgerät eingeben, sich von der Stimme durch die Stadt lenken lassen. Hin zu dem Gebäudekomplex, den sie fast auf den Tag genau vor sechs Monaten verlassen hat. Auf Johannes gestützt und ihres bisherigen Lebens beraubt.
Vor dem Haupteingang unter dem schmalen Vordach stehen die Raucher. Zitternde Körper in Bademänteln, die sich hastig das Nikotin für die nächsten Stunden auf der Station in ihre Körper saugen.
Die Frau parkt ein paar Meter daneben, ignoriert das Schild mit dem Hinweis, dass es sich um einen reservierten Parkplatz handelt, geht um den Wagen herum, öffnet die Beifahrertür und zerrt die kleine Reisetasche vom Sitz.
Sie schließt die Tür, und während sie sich die Tasche umhängt, bemerkt sie das Zittern ihrer linken Hand. Mit dem Einnehmen der Tabletten heute Morgen sind also auch die Nebenwirkungen zurückgekommen. Die erste Dosis nach so langer Zeit – sie hat eine Weile überlegt, ob es auch ohne gehen würde, sich dann eine Närrin gescholten und die Kapsel mit einem Schluck Kaffee runter gespült.
Die Glastür der Eingangshalle öffnet sich mit einem leisen Fauchen. Zwei Schritte in die Wärme. Die Brille der Frau beschlägt sofort. Hastig durchsucht sie ihre Jackentasche, erwischt den Zipfel eines Papiertaschentuchs mit den kalten Fingerspitzen. Die Reisetasche rutscht von ihrer Schulter, schlägt mit einem metallischen Geräusch auf dem Fliesenboden auf. Die Frau erschrickt, ihre rechte Hand findet den Mund, erstickt den Schrei mit dem Taschentuch.
Verdammt, beruhige dich.
Sie atmet einige Male in den Zellstoff zwischen den Lippen, sucht in dem Taschentuch nach einer trockenen Stelle, nimmt ihre Brille ab, reibt vorsichtig über die Gläser.
Die Frau sieht sich in dem gefliesten Eingangsbereich um. Plötzlich sind die Bilder von diesem anderen Krankenhaus wieder in ihrem Kopf. Vor einer Woche hat sie die Reportage auf dem Kanal eines Privatsenders gesehen. Ein Kamerateam war durch die Gänge einer Klinik in Russland gestürmt. Das Licht der mitgebrachten Scheinwerfer brach sich in den großen Glasflächen dutzendfach und mischte sich mit den Blitzen der Fotografen zu einem gleißenden Inferno. An der Spitze ein Mann mit einem Mikrofon, der immer wieder in Nahaufnahme gezeigt wurde und den Vorgang in einer unbekannten Sprache beschrieb. Der deutsche Kommentar setzte verzögert ein, fasste die Aktion zusammen und lieferte Hintergründe in kurzen trockenen Sätzen, die zu den aufgeregten Bildern nicht passen wollten.
Die Frau saß vor dem Fernseher, Bilder und Töne rannen durch ihren Kopf, und es gelang ihr nicht, mehr als nur Fragmente davon festzuhalten. Aber in dem Moment, als Johannes zur Fernbedienung griff, "So ein Quatsch", murmelte, und der Kommentator fast gleichzeitig davon sprach, dass man davon ausgehe, ähnliche Vorkommnisse könnten sich auch woanders wiederholen, vielleicht sogar in deutschen Krankenhäusern, wurde in ihrem Gehirn ein Prozess ausgelöst. Ein Prozess, der zwei Tage gärte und am Ende dafür sorgte, dass sie mitten in der Nacht mit einem schrillen Schrei aus einem schrecklichen Traum erwachte."
Copyright: Viaterra Verlag
Leseprobe 3 "Mordsmütter":
Ich, Schlangenbrut
von Daphne Carpentier
Die Tür schnappt leise ins Schloss. Gefangen.
Letztes Mal hat es eine ganze Woche gedauert, bis sie zurückkam. Im Knast haben sie es besser, da gibt es was zu essen und es ist warm. Seit sie uns das Gas abgestellt haben, frieren wir. Einer ihrer Typen hat zwar einen Benzingenerator aus seinem Gartenhäuschen angeschleppt, aber ich kriege das unheimliche Ding nicht in Gang. Und das stinkt so. Eines Tages liegen wir tot in unseren Betten. Die Kleinen haben sich irgendwo verkrochen. Mucksmäuschenstill ist es in der Wohnung, nur der Wasserhahn in der Küche tropft, gleichmäßig, nicht wie mein Herz. Das rast und stolpert.Sonst nervt mich das Geräusch, jetzt beruhigt es mich. Wenigstens läuft das Wasser noch.
Ich laufe in den Flur, nachsehen, ob ihr Mantel noch an der Garderobe hängt. Vielleicht ist sie nur kurz runter, den Abfall wegbringen. Nein, der falsche Leopard und die Stiefel sind verschwunden. Ich durchwühle den Berg Klamotten auf dem Boden, aber werde nicht fündig. Da fange ich an zu heulen, das ist mir lange nicht passiert. Der Rotz rinnt aus meiner Nase wie bei unserem kleinen Schmuddel. Aber Lucca darf das noch, der ist ja noch keine zwei. Verdammt! Nun haben es auch die Kleinen gemerkt, dass sie sich fortgeschlichen hat. Felix steht im Türrahmen und schaut mich groß an. Der sagt selten was. Lucca und Angie klammern sich an meinen Beinen fest. Ich gehe in die Knie und umarme sie.
"Sanne, wo ist Mama?" - „Mama is nur kurz was holen“, versuche ich meine kleine Schwester zu beruhigen. „Sie kommt gleich zurück. Ganz bestimmt.“